Das Entwicklungsstudio Graviteam ist in der Strategiespieleszene kein unbeschriebenes Blatt, gehen doch einige bekannte Titel wie T72: Balkans in Fire, Steel Fury oder Achtung Panzer: Kharkov 1943 auf ihr Konto. Der in diesem Review vorgestellte Titel "Achtung Panzer: Operation Star" (im nachfolgenden Spielbericht auch kurz AP:OS genannt), ist das aktuellste Machwerk der ukrainischen Spieleprogrammierer und versetzt den Spieler erneut an die Ostfront des Jahres 1943.
AP:OS ist, wie manche Beobachter des Wargaminggenres unter Umständen bereits erkannt haben, nicht erst brandneu auf den Markt gekommen. Um genau zu sein erschien der Titel bereits vor fünf Monaten. Vor knapp zwei Wochen hat nun auch der amerikanische Strategiespiele Publisher Matrix Games das Spiel in sein Portfolio aufgenommen, was für uns nun Anlass genug war, einen genaueren Blick darauf zu werfen.
"Achtung Panzer: Operation Star" ist eine Mischung aus klassischer rundenbasierter Strategie auf strategischer Ebene und Echtzeitgefechten auf operativer/taktischer Ebene, bei dem der Spieler wahlweise in die Rolle eines Kommandeurs der deutschen Wehrmacht oder der roten Armee schlüpfen darf. Der geschichtliche Hintergrund des Spiels stellt die russische Operation "Zvesda" (Stern) dar, die am 02. Februar 1943 nach der Niederlage der 6.deutschen Armee in Stalingrad vom sowjetischen Oberkommando an ihrer "Voronezh Front" ausgelösst wurde und die Städte Kharkov und Kursk zum Ziel hatte.
Obwohl beide Ziele vorerst erreicht wurden, endete die Offensive direkt in der "dritten Kharkovschlacht", bei der es der deutschen Armee unter der Führung des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein noch einmal gelang, dieses wichtige Industriezentrum zurückzuerobern.
Insgesamt acht Kampagnen stehen zur Verfügung (fünf russische und drei deutsche) auf drei umfangreichen Karten, mit einer dargestellten Gefechtsfläche von bis zu 260 Quadratkilometern. Die Entwickler legten grossen Wert auf historische Authenzität, so das sämtliche Karten und Schauplatze möglichst detaill getreu nachgebildet wurden.
Keine der zur Verfügung stehenden Kampagnen umfasst jedoch den gesamten Zeitraum der Operation (02.Februar bis 15.März 1943), sondern jeweils immer nur wenige Tage. Hier soll man sich aber nicht täuschen lassen. Eine "lediglich" zwei Tage umfassende Kampagne kann durchaus mehrere Spielabende in Anspruch nehmen. Dazu später mehr.
Das Spiel ist komplett auf Englisch und wird bei Matrix Games in der aktuellen Version 5.77 angeboten. Auf das obligatorische Handbuch im .pfd Format muss verzichtet werden, stattdessen wird über den Gamelauncher ein Taktik Guide mitgeliefert. Dieser wurde zwar universell für die gesamte Achtung Panzer und Steel Armor Serie geschrieben, gibt aber aufgrund der identischen Spielprinzipien der besagten Titel genügend Einstiegshilfen und erklärt alle grundlegende Elemente des Spiels.
Nach dem ersten Start von AP:OS erschien eine Einladung zu einem "Training Mode". Grenzenlose Begeisterung machte sich breit. Dieses vermeindliche Tutorial entpuppte sich aber im Grunde nur als recht rudimentäre Tooltippunterstützung mittels Einblendung von dutzenden Kurztipps, welche bei mir mehr Verwirrung stifteten als Nutzen einbrachte. Zum Glück wusste mein Redaktionskollege Holger bereits das Shortcut zum abbrechen des "Training Modus". Ich entschloss, einfach mal draus los zu machen.
Ich wählte eine russische Kampagne, bei der man als Kommandeur der russischen 25. Garde Schützendivision die Stadt Taranovka gegen die deutsche 6.Panzerdivision verteidigen muss. Diese Kampagne erwies sich als guter Einstieg in das Spiel, hat man doch als Verteidiger erst einmal den Luxus, den Feind einfach an sich heran kommen zu lassen und auszuprobieren wie was funktioniert.
Nach einer einfachen Szenariobeschreibung, mittels einer gezeichneten Geländekarte, erschien eine ansehnliche strategische Karte der Stadt Tarnovka, in denen meine zur Verfügung stehenden Truppenteile eingezeichnet waren. Auf dieser strategischen Karte hat man die Möglichkeit seine Truppen zu inspizieren, Nachschubprioritäten zu setzen, die Einheiten zu verlegen oder bei Bedarf Ersatz anzufordern oder angeschlagene Verbände zusammenzulegen.
In meiner ersten Spielsession erschloss sich mir die genaue Funktionsweise der strategischen Karte und der dort vorhandenen Möglichkeiten nicht sofort, was sich aber im laufe meines Spieletests recht schnell änderte. Bei meiner Kampagne war Anfangs hier auch kein grosser Handlungsbedarf, stand meine Frontlinie ja bereits und die Truppen waren alle gut verschanzt. Die erste Kampfhandlung wurde ausgelösst, als ein feindliches Vorauskommando, bestehend aus jeder menge Schützenpanzer mit Panzergrenadieren in Reichweite einer meiner vorgeschobenen Einheiten eindrang.
Meine Sicherungslinie bestand hier nur aus drei Infanteriegruppen und einem vorgeschobenen Artilleriebeobachter. Dieses kleine Gefecht wiederholte ich ein paar mal und hatte mir so recht schnell die Grundlagen des Spiels angeeignet. Die Artilleriebeobachter zum Beispiel können deutlich schneller Unterstützungsfeuer anfordern, wenn sie eine direkte Sichtlinie in das gewünschte Zielgebiet haben. Auch empfiehlt es sich natürlich, diese Jungs möglichst aus Kampfhandlungen heraus zu halten.
Das Aufstellen der Einheiten an der regulären Hauptkampflinie kann durchaus einige Zeit in Anspruch nehmen. Man überfliegt die Karte und sichtet Schlüsselpositionen, gute Verteidigungsstellungen oder wichtige Strassenkreuzungen. Die Karte ist in der Aufstellungsphase in kleine Quadrate aufgeteilt, anhand deren Farben und Markierungen (Erläutert im Eingangs angesprochenen Taktikguide) man die Wertigkeit der Position in Sachen Verteidigung sowie Verschanzungs- und Hinterhaltbonus erkennen kann. Eigene Einheiten, die in den letzten Stunden auf der Strategischen Karte nicht bewegt wurden, erhalten einen weiteren Verschanzungsbonus in Form von Schützen- und Laufgräben etc.
Man ist in der Aufstellung seiner Einheiten auch nicht völlig frei. Befand sich zum Beispiel eine Kompanie Infanterie in der Strategischen Karte am rechten Flügel der später dort stattfindenden Schlacht, kann man diese im Gefecht auch nur am rechten Flügel aufstellen. Zu Beginn der Aufstellung ist die Situation erst etwas unübersichtlich und man benötigt schon ein bischen Zeit erst einmal Ordnung zu schaffen und seine Einheiten so aufzustellen, wie man es für sinnvoll erachtet.
Ist man mit seiner Aufstellung zufrieden kann der Spass beginnen. Die Schlacht läuft daraufhin in Echtzeit ab mit der Möglichkeit jederzeit zu pausieren. Im Grunde ist das Spielprinzip das selbe wie in der etwas bekannteren Combat Mission Serie. Die Bedienungsoberfläche ist nicht schlecht, aber wenig intuitiv bzw benutzerfreundlich. Nichts was man nicht nach einer kurzen Einspielphase verstehen könnte, aber dennoch nicht besonders gelungen. Bewegungsbefehle erfolgen durch einfache Klicks durch die Maus. Auch kann man bei einer angewählten Einheit, mittels Space Taste, die zur Verfügung stehenden Befehle aufrufen. Allzuviel Micromanagement erfordert das Spiel jedoch nicht.
Die KI agiert und reagiert erstaunlich gut. Man hat aufgrund der Grösse vieler Schlachtfelder auch garnicht die Möglichkeit jede Einheit zu bemuttern. Man konzentriert sich eher auf wichtige Feuergefechte oder auf das Führen von wertvolleren Einheiten wie Panzern. Ich war mehrfach erstaunt, wie von mir einige Minuten nicht beachtete Frontabschnitte verbissen ihre Positionen verteidigten, oder überrannte Stellungen dem Feind einen hohen Blutzoll abverlangten, in Form von gefallen feindlichen Soldaten, die das gesamte Gefechtsfeld übersähten.
Die Grafik kann sich wirklich sehen lassen und die Animationen sind recht realistisch. Echt kommt richtiges Ostfrontflair auf. Es ist ein Augenschmauss anzusehen, wie sich die Kriegsparteien bekämpfen und es spielen sich regelrechte Dramen auf dem Schlachtfeld ab. Eine Pak dreht im letzten Moment um einen herangekommenen Feindpanzer abzuschiessen, der gerade dabei ist, einen Trupp Infanterie in ihren provisorischen Schützenlöchern zu zermahlen. Oder es springt ein Soldat hinter einem Baum hervor und wirft einen Molotov Cocktail auf einen passierenden Schützenpanzer. Die feindliche Besatzung bootet brennend aus und wirft sich schreiend in den Schnee.
Wegfindungsprobleme der Einheiten konnte ich nicht beobachten. Viele Echtzeitspiele leiden ja regelrecht darunter. Nicht jedoch AP:OS, sehr schön. Zur Not walzt sich ein Panzer einfach durch Bäume, Zäune und Scheunen. Die Gefechtskarten der Schlachten umfassen zwei bis drei Quadratkilometer und durch die realitätsnähe des Spiels kann ein Panzer bei guter Sicht und Schusslinie bereits auf einer Entfernung von 1km bekämpft werden. Panzer- und Panzerabwehrgeschütze sollten also mit bedacht eingesetzt werden.
Ist ein Gefecht beendet geht es wieder zurück auf die Strategische Karte. Sofern alle Schlachten der aktuellen Runde geschlagen sind, dreht die Uhr einige Stunden weiter und es beginnt die nächste Grosskampfrunde. Zuerst dürfen wieder Einheiten inspiziert und Nachschubprioritäten gesetzt werden und daraufhin wieder Einheiten verlegt werden. Der strategische Part besteht also aus zwei Phasen. Man sollte durchaus jede Einheit inspizieren, können doch manche Einheiten auf der strategischen Karte auch nur aus einem Artilleriefeuerleitstand bestehen.
Mittels Rechtsklick wird das eigene OOB (Order of Battle) geöffnet, zentriert um die zuletzt angeklickte Einheit, welche maximalst aus fünf oder sechs Formationen bestehen können. Um zu sehen, welche Einheiten bei der nächsten Schlacht teilnehmen werden, hält man auf der strategischen Karte einfach seinen Mauszeiger über ein nächstes potentielles Gefecht (siehe Karte unten). Mit einem kleinen "x" markierte Geländefelder oder Einheiten würden in der nächsten Schlacht mit von der Partie sein. Man erhält so schnell ein Gefühl für die Front und wie man seine Einheiten am besten positioniert.
In weiteren Verlauf meiner Kampagne um die Stadt Tarnovka drückte die deutsche KI meine Frontline an mehreren Abschnitten zurück und erzwang im Süden sogar einen Durchbruch. Mit einen Gegenangriff, unter Zuhilfenahme meiner zur Verfügung stehenden Panzereinheiten, konnte ich die Lage wieder halbwegs in den Griff bekommen und den feindlichen Flaschenhals kurzzeitig durchtrennen. Das Gelände auf dem Gefechtsfeld behält im übrigen die Spuren seiner vorangegangenen Schlachten. Abgeschossene Wracks und mit Granattrichter übersähte Landschaften zieren die Prärie.
Alles in allem befand ich mich aber wohl auf der Verliererstrasse. Aber das sollte mich nicht weiter stören, war ich im Grunde sehr zufrieden mit meinen erlangten Kenntnissen. Nach drei Spielabenden glaube ich mich nun Sattelfest und werde nun die Osterfeiertage nutzen, um eine neue Kampagne starten. Unerfahrene Spieler der Achtung Panzer Reihe (so wie ich) dürften wohl kaum mehr als zwei oder drei Spielabende benötigen, um sich mit "Operation Star" vertraut zu machen.
Fazit:
Atmosphärisch tiefes Strategiespiel für echte Strategen mit epischen Echtzeitkämpfen. Man sollte schon etwas Zeit zur Hand haben und nicht erwarten hier ein arkadeähnliches Spiel wie Company of Heroes oder Men of War wieder zu finden. Lediglich die Bedienelemente benötigen echte Überwindung und drücken das ansonsten sehr gute Ergebnis etwas nach unten.
Grafik, Animation & Sound 9/10
Hier gibt es nichts zu bemängeln. "Achtung Panzer: Operation Star" wartet mit sehr guter Grafik und Effekten auf. Die Geräuschkulisse rundet das Gesamtbild sehr gut ab.
Steuerung & Interface 6/10
Eindeutig der Schwachpunkt des Titels. Zwar kein Gamebreaker und auch nicht besonders kompliziert, aber dennoch irgendwie unglücklich. Mehrfach schickte ich anfangs ungewollt Truppen über die Karte. Mit etwas Einarbeitung passierte das zwar nicht mehr, aber der Spielfluss kann schon mal darunter leiden.
Atmosphäre 9/10
Der Mix aus Strategie und Echtzeitkämpfen klappt ganz hervorragend. Man hat auch schnell das Gefühl für seine Truppen. Die Echtzeitkämpfe wirken teilweise erschreckend authentisch und sind das absolute Highlight des Spiels. Das schlagen einer einzelnen Schlacht kann schon mal ein bis zwei Stunden dauern.
Spielumfang 8,5/10
Für einen Preis von unter 30,- Euro ist hier wochenlanger Spielspass garantiert. Acht Kampagnen und ein "Quick Battle" Generator. Zum grossen bedauern aber kein Multiplayer. Es sind bereits zwei Add-Ons erschienen: Sokolovo 1943 und Volokonovka 1942.
Künstliche Intelligenz 9/10
Über die KI kann ich nichts negatives berichten. Die eigenen Truppen reagieren und agieren angemessen und der Gegner weiss was er tut, setzt Schwerpunkte und verdrückt sich rechtzeitig wenn die Lage brenzlig wird.
Gesamtwertung: 83%
Gameplayvideo:
Weitere Screenshots:
vBulletin-Systemmitteilung